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Schweres Erbe

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar: Rainer Höß zu Gast

Rainer HößWie lebt ein Mensch damit, Erbe eines millionenfachen Massenmörders zu sein?
Dieser Frage gingen anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 200 Schüler der Klassen 9, 10 und 12 der Drei-Maare-Realschule plus nach. Zur Erinnerung: am 27. Januar vor 74 Jahren wurde das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz in Polen von russischen Truppen befreit.
Peter Fricke, ehemaliger Geschichtslehrer, führte mit historischen Hintergründen in die Thematik ein. ,,Etwa jeder 20. Europäer hat laut einer aktuellen Studie von CNN noch nie etwas über die Judenvernichtung zur Zeit des NS gehört. Wie kann es also gelingen, gerade junge Menschen, wie ihr es seid, zur Auseinandersetzung mit NS und Holocaust zu bewegen?" Er stellte auch die rhetorische Frage, ob man so lange Vergangenen immer wieder ans Tageslicht zerren müsse. ,,Wer die Verbrechen aus der Nazizeit nicht mehr hören kann, der beweist nur, dass er niemals richtig zugehört hat, oder, ich zitiere den Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel: Wer die Erinnerung an die Opfer verdunkelt, der tötet sie ein zweites Mal."
Der Film ,,Nacht und Nebel" von Alain Resnais, der erste Dokumentarfilm nach dem 2. Weltkrieg über die Vernichtungslager, insbesondere auch Auschwitz sowie der Text ,,Kinder sind immer Erben" von Max von der Grün bildete für die Schüler eine Brücke zum nachfolgenden Gast:
Er dürfte vielen bekannt sein, denn seit Jahren hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die zum Schweigen gebrachten Stimmen der Opfer des Holocaust am Leben zu erhalten. Er ist zu Gast in Talk-Shows, schreibt Bücher, dreht Filme, spricht vor Schülern und Studenten,  besucht mit ihnen Konzentrationslager, ist beteiligt an Gerichtsverfahren gegen NS-Verbrecher, die wegen ihrer Gräueltaten nie belangt wurden, arbeitet mit rechtsradikalen Jugendlichen und hat im Jahre 2014 zusammen mit Simon Bell aus dem United Kingdom die internationale Organisation ,,footsteps" gegründet, deren Prinzipien u.a auf der Notwendigkeit beruhen, die Geschichte und Schrecken des Holocaust mit allen Altersgruppen zu teilen und zu lehren. ,,Footsteps heißen wir deswegen, weil auf dem Weg in die Gaskammern Fußabdrücke das Letzte sind, was von den Menschen geblieben ist." Seine größte Angst: dass es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird, ,,nur noch Youtube-Geschichten."
Sein Großvater war der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Franz Ferdinand Höß, 1901 geboren, ein Massenmörder, der im März 1946 von den Briten geschnappt, nach seiner Zeugenaussage in den Nürnberger Prozessen im Mai 1946 an die polnischen Behörden ausgeliefert und am 16. April 1947 an seiner Wirkungsstätte mit Blick auf seine ehemalige Residenz und das Vernichtungslager gehängt wurde.
Rainer Höß zeichnet in Daun die Verbrechen seines Großvaters unter dem Titel ,,Rudolf Höß: Der Tod ist mein Beruf - vom Ministrant zum Massenmörder" nach.
Er zeigt Familienbilder: die Villa Höß mit einem riesigen Garten inklusive Pool und Gewächshäusern, Hedwig Höß' ,,schönes Paradies", erbaut auf Menschenleben, seine Großeltern beim Kaffeetrinken, 100 Meter entfernt von der Gaskammer und dem  Krematorium des Stammlagers Auschwitz. Fotos der Aktion Höß 1944 - Todeslisten von Auschwitz Birkenau zur ,,Endlösung" der ungarischen und griechischen Juden - ein Bild seines Großvaters, umringt vom SS-Arzt Josef Mengele und dem stellvertretenden Kommandanten von Birkenau, Richard Baer. Wie Geraubtes zum Eigentum der Familie wird - Luxus durch Mord - einen aus Zahngold hergestellten Siegelring, das Familienwappen, das einer Näherin ihr Leben kostete, weil sie den Namen Höß mit Doppel-s gestickt hatte - und vor allem spricht Rainer Höß über das Leugnen seiner Familie, mit der er heute nichts mehr zu tun haben will.
,,Heute ist das Verhältnis mehr als gespalten. Der Andreasgraben ist ein Bach dagegen", sagt er dazu. ,,Von Anbeginn waren meine Großeltern väterlicherseits durch ihr Umfeld antisemitisch geprägt, dabei war meine Großmutter Hedwig die treibende Kraft. Ihre spätere schriftliche Stellungnahme und Sicht der Dinge zu Auschwitz und Massenmord: ,Alles Lüge... Erfindung der Juden und Alliierten´. Für sie war ihr Ehemann ein aufrechter und glorreicher Kommandant, der zu Unrecht hingerichtet worden ist. Ironischerweise ist sie nach ihrem Selbstmord in den USA durch eine Giftphiole meines Großvaters 1989 auf einem jüdischen Friedhof beerdigt worden - da gehört sie nicht hin."
Auch sein Vater, der als Kind drei Jahre in Auschwitz lebte, leugnete alles. Seine Version des Todes von Rudolf Höß: dieser sei im Krieg gefallen. ,,Als ich bei einem Besuch in Dachau überall den Namen Höß las und meinen Vater anrief, war der ganz tiefenentspannt. Das heißt Hess, erklärte er mir, das ist eine Namensverwechslung- da war ich froh. Doch als ich einmal ein verbotenes Buch, ,,Menschen in Auschwitz" von Hermann Langbein aus dem Regal ziehen wollte, endete dies mit einem Nasenbeinbruch. Mein Vater war sehr gewalttätig."
Mit 15 kam erst der Auszug von daheim, dann der Absturz, Drogen, Alkohol. Sein erstes Kind habe ihn gerettet, sagt Rainer Höß heute rückblickend, ,,sonst hätte ich mir die Kugel gegeben." Seitdem hat er sich der Aufklärung verschrieben und mittlerweile 50 000 Dokumente zu Auschwitz und seinem Großvater zusammengetragen.
,,Dessen verstörendste Sätze in polnischer Haft, die ich mir denken kann, sind diese: ,Doch ich muss offen sagen, auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend, da ja in absehbarer Zeit mit der Massenvernichtung der Juden begonnen werden musste ... Nun war ich doch beruhigt, dass uns allen diese Blutbäder erspart bleiben sollten, dass auch die Opfer bis zum letzten Moment geschont werden konnten.´"
Auf das Todesurteil von den Schülern angesprochen, sagt Rainer Höß: ,,Ein Menschenleben für Millionen - ich überlasse das jedem selbst, sich da ein Urteil zu bilden. 23 Minuten hat es gedauert bis zur Erhängung, die live in der BBC übertragen wurde. Ihm war klar, dass sie ihm das Licht ausknipsen. Das am Galgen ist das einzige Bild von ihm, das auf mich beruhigend wirkt, weil er keinem mehr schaden kann. Das Einzige, was in unserer Familie nicht gelogen war, waren die Sätze meiner Großmutter, die einmal sagte: ,Der Rainer wird uns mal richtig Ärger machen.` Ich komme allen immer zuvor und sie bekommen seit Jahren von mir alle meine Arbeiten kostenlos geschickt."
Eine Enkelin auf Spurensuche, Sandra Polom, sprach am Ende der Gedenkveranstaltung. Auch sie ist Erbin, doch von Opferseite. Anlass für die Aufklärung ihrer Familiengeschichte waren Schmuckstücke ihrer Großmutter, die ihr im KZ Ravensbrück abgenommen und der Familie 2017 per Post zugeschickt wurden. Die Großeltern wurden in Polen verschleppt und überlebten mehrere Konzentrationslager, bevor sie nach ihrer Befreiung Schweden erreichten.  Eine Station des Leidensweges ihres Großvaters Jakub Chabinski als Zwangsarbeiter war der Tunnel in Treis-Bruttig, ein Außenlager des Konzentrationslagers Natzweiler. Wer sich für dieses Thema interessiert, sollte die Dokumentation zum Treis-Bruttiger Tunnel von Guido Pringnitz, ,,Deckname Zeisig" lesen.

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